Als das Cannabisgesetz in Deutschland beschlossen wurde, waren die Euphorie und die Versprechen groß. Endlich sollte Schluss sein mit der Kriminalisierung von Konsument:innen und Patient:innen. Unsicherheit und Diskriminierung sollte der Vergangenheit angehören. Die Ziele waren klar formuliert: den Schwarzmarkt eindämmen, den Jugendschutz stärken und gleichzeitig Forschung und Prävention fördern. Doch heute zeigt sich, dass der politische Anspruch und die tatsächliche Umsetzung weit auseinanderliegen.
Modellprojekte werden blockiert, Social Clubs kämpfen mit Bürokratie und das neue Gesetz für medizinisches Cannabis erschwert den Zugang für Patientinnen und Patienten. Was als Fortschritt gedacht war, entwickelt sich zunehmend zum Rückschritt.
Medizinal-Cannabis: Rückschritt statt Reform
Kaum ein Bereich zeigt so deutlich, wie widersprüchlich das Cannabisgesetz in Deutschland umgesetzt wird. Das im Jahr 2024 verabschiedete Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG)sollte die medizinische Nutzung klar vom Freizeitkonsum trennen und eine moderne Grundlage schaffen. Doch die Realität sieht anders aus.
Worum es geht
Mit dem neuen MedCanG, dessen Gesetzesentwurf am 8.10.2025 beschlossen wurde, will die Bundesregierung die medizinische Nutzung von Cannabis neu ordnen.Ärzt:innen sollen künftig nur noch dann verschreiben dürfen, wenn ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat. Danach ist Telemedizin möglich. Die bisher erlaubte Fernverschreibung und auch der Versandhandel fallen weg.
Begründet wird das Ganze mit einem deutlichen Anstieg der Importe. Zwischen 2024 und 2025 stieg die importierte Menge von rund 19 Tonnen auf über 80 Tonnen. Das Gesundheitsministerium sieht darin ein Zeichen für möglichen Missbrauch oder Überversorgung. Fachleute bewerten das anders und sagen, dass der Anstieg ganz einfach auf einen wachsenden Bedarf zurückzuführen ist , weil immer mehr Menschen über Cannabistherapien informiert sind und diese endlich als echte Behandlungsoption wahrnehmen.
In Wahrheit zeigt die Entwicklung vor allem eins: Das angebliche Missbrauchsproblem existiert nur deshalb, weil es kaum legale und flächendeckende Bezugsquellen gibt und der Bedarf an Medizinalcannabis natürlich gestiegen ist. Das ist doch logisch, nachdem es nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft wurde. Wenn Patient:innen Cannabis sicher in Apotheken oder über lizenzierte Plattformen erhalten könnten, gäbe es keine Ausweichstrategien und keine Grauzonen. Statt zu verbieten, müsste der Staat endlich ermöglichen.
Was ist das Problem daran?
Für viele Betroffene ist die geplante Regelung ein echter Rückschlag. Besonders Menschen, die auf Telemedizin angewiesen sind, verlieren damit den Zugang zu einer legalen, einfachen und kontrollierten Versorgung. Auch Ärzt:innen schlagen Alarm und kritisieren den wachsenden bürokratischen Aufwand, der ihren Praxisalltag zusätzlich belastet.
Die Folgen sind vorhersehbar: Es wird schwieriger, an Rezepte zu kommen, und Patient:innen müssen wieder mehr Zeit, Geld und Geduld investieren, um ihre Therapie fortzusetzen. Wer nicht in der Stadt lebt oder keinen spezialisierten Arzt in der Nähe hat, steht schnell ohne Versorgung da. So werden ausgerechnet die Menschen benachteiligt, die das Gesetz eigentlich unterstützen sollte.
Und genau das ist das eigentliche Paradox: Während von Missbrauch die Rede ist, werden die legalen Wege immer weiter eingeschränkt. So wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Patient:innen auf inoffizielle Quellen zurückgreifen müssen.
Was sich mit dem neuen Gesetz ändert
Mit der Reform des Medizinal-Cannabisgesetzes ändern sich gleich mehrere Punkte, die Patient:innen und Ärzt:innen direkt betreffen:
- Pflicht zum persönlichen Arztkontakt (geplant): Nach dem aktuellen Gesetzentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes soll Cannabis künftig nur noch nach einem persönlichen Erstkontakt zwischen Ärzt:in und Patient:in verschrieben werden dürfen. Ziel der Regelung ist es, telemedizinische Verschreibungen einzuschränken und mögliche Missbrauchsfälle zu verhindern. Ein endgültiger Beschluss steht noch aus.
- Bei Folgeverschreibungen ist vorgesehen, dass einmal pro vier Quartale ein persönlicher Kontakt erfolgen muss – die anderen drei Termine können per Telemedizin stattfinden.
- Ende des Versandhandels: Cannabis kann nicht mehr legal online bestellt oder verschickt werden. Es darf nur noch nach persönlicher Beratung in Apotheken ausgegeben werden. (selbst abholen oder Botengang)
- In Regionen mit wenigen Fachärzt:innen wird es noch komplizierter, an Rezepte zu kommen.
Viele wissen nicht, ob sie ihre Therapie künftig fortsetzen können oder ob sie neue Hürden erwarten.
Was zu erwarten ist
Patient:innen müssen sich auf längere Wartezeiten, mehr Termine und kompliziertere Abläufe einstellen. Gleichzeitig wächst der Druck auf Ärzt:innen, sich rechtlich abzusichern und jede Verschreibung zu rechtfertigen. Viele werden deshalb zögern, überhaupt noch Cannabis zu verschreiben, um Konflikte mit Krankenkassen oder Behörden zu vermeiden.
Das Ergebnis ist fatal: Statt den Zugang zu erleichtern und Vertrauen zu schaffen, wird ein veraltetes System aufrecht erhalten. Das neue Gesetz bremst nicht nur Ärzt:innen, sondern vor allem die Menschen, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind.
Modellprojekte: Forschungsideen ohne Realität
Die sogenannten Modellprojekte sollten das Herzstück einer modernen Cannabispolitik sein. Geplant war, dass Städte und Kommunen in wissenschaftlich begleiteten Projekten Cannabis kontrolliert abgeben dürfen. So sollten Erkenntnisse über Konsumverhalten, Prävention und Marktmechanismen gewonnen werden. Doch die Realität sieht anders aus. Von 65 eingereichten Anträgen wurde bis heute kein einziger genehmigt. Sechs wurden sogar vollständig abgelehnt.
Was eigentlich geplant war
Geplant war, dass Kommunen wie Frankfurt, Hannover und Berlin legale Verkaufsstellen eröffnen, die wissenschaftlich begleitet werden. Diese Daten sollten Grundlage für eine mögliche zweite Phase der Legalisierung sein, die einen kommerziellen Verkauf unter Auflagen vorsieht.
Warum nichts passiert
Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) lehnt die Projekte ab. Ihre Begründung lautet, dass das aktuelle Konsumcannabisgesetz keine ausreichende Rechtsgrundlage für solche Versuche biete. Dafür sei eine gesonderte Gesetzgebung, die sogenannte „zweite Säule“, notwendig.
Die Antragstellerinnen und Antragsteller sehen das anders. In §2 Absatz 4 des KCanG ist ausdrücklich von wissenschaftlichen Begleitprojekten die Rede. Dennoch werden die Anträge nicht bearbeitet oder abgelehnt. Damit wird verhindert, dass Deutschland wissenschaftlich fundierte Daten zur Wirkung der Legalisierung erhält.
Wo das Problem ist
Ohne Modellprojekte bleibt alles Theorie. Politikerinnen und Politiker können keine belastbaren Entscheidungen treffen, weil es an Forschung und praktischen Erkenntnissen fehlt. Andere Länder wie die Schweiz oder Tschechien zeigen, dass solche Projekte wertvolle Erkenntnisse liefern und helfen, sinnvolle Regelungen zu entwickeln. Deutschland hingegen blockiert mal wieder!
Und wo bleiben die Social Clubs?
Die Cannabis Social Clubs (CSCs) sollten den gemeinschaftlichen, nicht-kommerziellen Anbau ermöglichen und Erwachsenen einen legalen Zugang bieten. Das Konzept hat sich in Spanien bereits bewährt und funktioniert dort sehr gut. In Deutschland wurde der Betrieb solcher Clubs ab dem 1. Juli 2024 erlaubt. Doch der Start verläuft schleppend. Genehmigungen lassen auf sich warten, Zuständigkeiten sind unklar und viele Anträge werden nicht bearbeitet oder abgelehnt.
Wie es laufen sollte
Ein Social Club, bzw. Anbauverein darf bis zu 500 Mitglieder aufnehmen und gemeinschaftlich Cannabis für den Eigenbedarf anbauen. Ziel war, eine sichere Alternative zum Schwarzmarkt zu schaffen und gleichzeitig soziale Verantwortung zu fördern. Es wurden schon einige Anbauvereine in Deutschland genehmigt und eröffnet, doch laut EKOCAN-Bericht liegt der Anteil der Versorgung über Anbauvereinigungen unter 0,1 Prozent des gesamten Cannabisbedarfs in Deutschland.
Was tatsächlich passiert
In der Praxis sieht es ernüchternd aus. In Karlsruhe hat der Verein Cannameleon nach zwei Jahren Planung aufgegeben, weil der Genehmigungsprozess nicht vorankam. In Bayern werden Clubs mit Verweis auf das Baurecht blockiert oder Kinderspielplätze geschaffen, damit kein Club eröffnen kann. In München berichten Initiativen von wochenlangen Wartezeiten und widersprüchlichen Informationen.
Wo das eigentliche Problem liegt
Das größte Problem liegt in der fehlenden Einheitlichkeit. Jedes Bundesland, teilweise sogar jede Stadt, legt das Gesetz anders aus. Besonders konservative Länder wie Bayern nutzen rechtliche Spielräume, um den Aufbau von Clubs zu verhindern. So entsteht ein Flickenteppich aus Vorschriften, der Engagement und Fortschritt ausbremst. Zwar steigt die Zahl der Club Genehmigungen, doch das bedeutet nicht automatisch, dass diese auch mit dem Grow beginnen und ihre Mitglieder:innen versorgen können.
Fazit: Ein Gesetz mit zu großen Hürden
Das Cannabisgesetz in Deutschland sollte den Weg in eine neue, aufgeklärte Drogenpolitik ebnen. Doch was in der Theorie fortschrittlich klingt, scheitert in der Praxis an politischer Uneinigkeit, Widerstand und Bürokratie.
Modellprojekte werden blockiert, Social Clubs kämpfen mit der Bürokratie und das neue Medizinal-Cannabisgesetz sorgt für mehr Hürden statt für Entlastung. Trotzdem gibt es Hoffnung. In vielen Städten, Vereinen, Forschungsinitiativen und in den sozialen Medien engagieren sich Menschen mit Leidenschaft und Sachverstand für eine bessere Cannabispolitik. Sie zeigen, dass ein vernünftiger, regulierter Umgang mit der Pflanze möglich ist.
Statt weitere Hürden zu schaffen, braucht es endlich einen regulierten Markt, der den Schwarzmarkt überflüssig macht. Die Einnahmen aus Steuern könnten sinnvoll in Aufklärung, Prävention und Jugendschutz fließen – genau dort, wo sie gebraucht werden. Gleichzeitig haben Menschen ein Recht auf kontrollierte, sichere und qualitativ hochwertige Cannabisprodukte, deren Herkunft und Inhaltsstoffe transparent sind. Nur so kann eine verantwortungsvolle und ehrliche Cannabispolitik funktionieren.
