Wir sind im Vice-Magazin auf einen spannenden Bericht gestoßen, der aktuell für viel Gesprächsstoff sorgt. Es geht um eine neue Cannabispille, die chronische Rückenschmerzen lindern und sogar THC enthalten, aber keine berauschenden Effekte bei den Konsumierenden erzeugen soll. Entwickelt wurde das Arzneimittel von der deutschen Firma Vertanical, die sogar bereits klinische Studien dazu veröffentlicht hat. Doch was steckt hinter dieser Entwicklung, und wie realistisch ist der Einsatz der Cannabispille für Patient:innen in Deutschland?
Was die neue Cannabispille verspricht
Die Cannabispille trägt den Namen VER-01 und wurde in einer groß angelegten Studie mit rund 800 Teilnehmenden getestet. Das Ziel: Schmerzen reduzieren, Schlaf verbessern und Entzugs- oder Rauschwirkungen vermeiden. Laut den Studienergebnissen konnten die Patient:innen ihre Rückenschmerzen im Durchschnitt um 1,9 Punkte auf einer Skala von 0 bis 10 senken. In der Placebo-Gruppe lag der Wert bei 1,4.
Zwar klingt der Unterschied klein, doch medizinisch ist er relevant, vor allem, weil die Teilnehmenden zusätzlich von besserem Schlaf und mehr Beweglichkeit berichteten. Auffällig war auch, dass die Cannabispille nur sehr geringe psychoaktive Effekte zeigte. Grund dafür ist der niedrige THC-Gehalt von rund 5 %, kombiniert mit weiteren pflanzlichen Inhaltsstoffen, die synergistisch wirken sollen.
Cannabis statt Opioide?
Neben der großen Placebo-Studie wurde die Cannabispille VER-01 auch direkt mit klassischen Opioid-Schmerzmitteln verglichen. In der sogenannten ELEVATE-Studie mit 384 Patient:innen zeigte sich, dass der Cannabis-Extrakt nicht nur wirksam, sondern auch deutlich besser verträglich war.
Die Teilnehmenden berichteten über spürbare Schmerzlinderung, erholsameren Schlaf und weniger Nebenwirkungen. Besonders auffällig: Unter der Cannabispille traten viermal seltener Verstopfungen auf, und der Bedarf an Abführmitteln sank um rund zwei Drittel. Gleichzeitig blieb das Sicherheitsprofil stabil. Schwerwiegende Nebenwirkungen waren im Vergleich zur Placebo-Gruppe selten, und Abhängigkeit oder Entzug traten nicht auf.
Sollte die Cannabispille zugelassen werden, könnte sie Patient:innen eine sichere, pflanzliche und zugleich wirksame Alternative zu Opioiden bieten und somit langfristig helfen, die Abhängigkeit von starken Schmerzmitteln zu reduzieren.
Die Inhaltsstoffe
Laut den aktuellen Studien handelt es sich bei der neuen Cannabispille (VER-01) um einen pflanzlichen Vollspektrum-Extrakt aus Cannabis sativa. Das bedeutet: Sie enthält nicht nur THC, sondern auch weitere natürliche Inhaltsstoffe der Pflanze – darunter CBD (Cannabidiol), CBG (Cannabigerol) sowie Begleitstoffe wie Terpene, Flavonoide und Phytosterole. Diese Kombination könnte erklären, warum die Wirkung in der Studie als angenehm, stabil und ohne stark psychoaktive Effekte beschrieben wurde.
Die Daten stammen aus einer in Nature Medicine veröffentlichten Phase-III-Studie, in der Vertanical sein Präparat als standardisierten Cannabis-Extrakt beschreibt. Damit unterscheidet sich die Cannabispille klar von klassischen synthetischen THC-Medikamenten wie Dronabinol. Sie basiert auf natürlichen Pflanzeninhaltsstoffen, die im Labor zwar gereinigt und standardisiert, aber nicht künstlich hergestellt werden.
Für Patient:innen könnte das bedeuten, dass sie von den therapeutischen Effekten der Pflanze profitieren, ohne mit den Schwankungen natürlicher Blüten oder den Nebenwirkungen hochdosierter THC-Präparate kämpfen zu müssen.
Wann kommt die Cannabispille in deutsche Apotheken – und wird sie frei verkäuflich sein?
Die Frage, die einen nach so einer Nachricht wohl beschäftigt, ist: Wann kommt die Cannabispille in deutsche Apotheken, und wird sie frei verkäuflich sein?
Nach aktuellem Stand wird das Präparat nicht ohne Rezept erhältlich sein. Da die Cannabispille den Wirkstoff THC enthält, unterliegt sie den strengen Vorgaben des deutschen Arzneimittel- und Betäubungsmittelrechts.
Das Unternehmen Vertanical, das die Pille entwickelt hat, befindet sich derzeit in der Zulassungsphase. Nach Angaben aus dem Vice-Bericht laufen bereits Gespräche mit der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sowie der US-amerikanischen FDA, um die Markteinführung vorzubereiten. In Deutschland wird mit einer Zulassung frühestens 2026 gerechnet – erst danach könnte die Cannabispille regulär in Apotheken erhältlich sein.
Patient:innen werden sie also ausschließlich auf ärztliche Verschreibung erhalten können. Eine frei verkäufliche Variante ist derzeit nicht geplant, um Patient:innen nicht zu gefährden.
Was das Studienergebnis wirklich aussagt
Die Ergebnisse zeigen, dass cannabisbasierte Medikamente auch in moderater Dosierung wirksam sein können. Dennoch ist zu beachten, dass die getestete Dosis deutlich unter jener liegt, die viele Patient:innen aus der medizinischen Praxis kennen. Kritiker:innen argumentieren daher, dass eine so stark standardisierte Form von Cannabis zwar wissenschaftlich interessant ist, aber den individuellen Bedarf vieler Schmerzpatient:innen nicht abbildet.
Ein Schritt in die richtige Richtung?
Trotzdem zeigt die Studie, wie sehr sich der Umgang mit Cannabis in der Medizin verändert. Die pharmazeutische Forschung öffnet sich zunehmend der Pflanze, auch wenn sie den Weg über standardisierte Präparate geht. Für Patient:innen ist das ein positives Signal: Die medizinische Wirksamkeit wird anerkannt, Cannabis wird weiter erforscht und rückt ins Zentrum moderner Schmerztherapie.
Ob die neue Cannabispille am Ende hält, was sie verspricht, bleibt abzuwarten. Doch sie zeigt, dass der Bedarf wächst, Alternativen zu klassischen Schmerzmitteln zu finden.
